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Jean-Jacques
Rousseau: Eigentum
©1994 Alexander Hüls
I.Einleitung........................................................................................................................
2
II.Eigentum als Basis der
Gesellschaft..............................................................................
2
A.Entstehung des
Eigentums..........................................................................................................2
B.Eigentum und
Ungleichheit........................................................................................................3
C.Die Konzeption des Contrat
Social..............................................................................................3
III.Eigentum und Recht im Contrat
Social....................................................................... 5
IV.Fazit..............................................................................................................................
9
V.Literatur.......................................................................................................................
10
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I.
Einleitung
Rousseau
zeichnet in seinem "discours sur l'inégalité" Klassengegensätze,
Ungleichheit
und Unfreiheit der Gesellschaft Ludwig XV.:
"...eine Handvoll Mächtiger und Reicher auf dem
Gipfel der Herrlichkeit und des
Glücks sieht, während die Masse in der Dunkelheit und im
Elend dahinkriecht... ."
1
An anderer Stelle heißt es:
"Sind nicht alle Vorteile der Gesellschaft zu
Gunsten der Mächtigen und Reichen? Sind
nicht alle einträglichen Berufe von ihnen allein besetzt?
Sind ihnen nicht alle Gunstbe-
zeigungen und alle Steuerfreiheiten vorbehalten?
Entscheidet die Staatsautorität nicht
alles zu ihren Gunsten? Wenn ein einflußreicher Mann
seine Gläubiger bestiehlt oder
irgendwie Gaunerei begeht, ist er nicht immer sicher,
ungestraft zu bleiben..."
2
Auf diesem Ausgangspunkt aufbauend, stellt sich die
Frage, wie Rousseau das Problem
der Eigentumsverteilung innerhalb der von ihm
konstruierten Gesellschaft löst.
Wie schafft er gesellschaftliche Gleichheit unter dem
Aspekt des Eigentums, und
ermöglicht so die Freiheit der Individuen?
In diesem Zusammenhang muß die Konstruktion des Contrat
Social und die Beson-
derheit des Gemeinwillens betrachtet werden.
II.
Eigentum als Basis der Gesellschaft
A. Entstehung des Eigentums
Die Wurzel der Entstehung des Eigentums sieht Rousseau in der Entstehung der Land-
wirtschaft:
"Aus der Bebauung des Grund und Bodens folgte
notwendigerweise seine Aufteilung;
und aus dem Eigentum, war es einmal anerkannt, die ersten
Regeln der Gerechtigkeit.
Denn um jedem das Seine zu geben, muß jeder etwas haben
können;"
3
In der Einführung des Privateigentums sieht Rousseau die Ursache von Verlust von
Freiheit und Autonomie:
"...da die Menschen außerdem begannen, ihre Blicke
in die Zukunft zu richten, und alle
sahen, daß sie einige Güter zu verlieren hatten gab es
niemanden, der die Repressalie
für das Unrecht, das er einem anderen zufügen konnte,
nicht für sich selbst zu fürchten
hatte. Dieser Ursprung ist um so natürlicher, als es
unmöglich ist zu begreifen, wie die
Vorstellung des Eigentums aus etwas anderem als der
Handarbeit entstehen könnte;
denn man vermag nicht zu sehen, was der Mensch beisteuern
kann, um sich die Dinge
anzueignen, die er nicht geschaffen hat, außer seiner
Arbeit. Allein die Arbeit, die dem
Bauern ein Recht auf das Produkt des Feldes gibt, das er
bestellt hat, gibt ihm folglich
1
Rousseau, Jean-Jacques:
Diskurs über die Ungleichheit, kommentiert von Heinrich Meier,
Paderborn/ München/ Wien/ Zürich (UTB), 1993, S.257, (im
Folgenden zitiert als D2)
2
Rousseau,
Jean-Jacques: Abhandlung über die Politische Ökonomie, in: Politische Schriften
1,
S.49, (im Folgenden zitiert als Pol. Ök.)
3
D2: S.201f
2
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ein Recht auf den Boden, zumindest bis zur Ernte, und so
von Jahr zu Jahr - was, da es
einen ununterbrochenen Besitz schafft, sich leicht in
Eigentum verwandelt....(es zeigt
sich), daß die Aufteilung des Grund und Boden eine neue
Art von Recht hervorgebracht
hat. Das heißt, das Eigentumsrecht, das von dem Recht,
welches aus dem natürlichen
Gesetz resultiert, verschieden ist."
4
Damit thematisiert Rousseau
den Zusammenhang
von Privateigentum und Freiheitsproblem in
"historischer Dimension".
5
B. Eigentum und Ungleichheit
Das Entstehen des Eigentums spaltet die Menschheit in
Klassen. Es gibt Müßiggänger
und Produzenten, Eigentümer und Eigentumslose.
In diesem Zusammenhang offenbart sich das Eigentum als
die Ursache des gesamten
gesellschaftlichen Unglücks. Über die Entstehung eines
"alles verschlingenden Ehrgei-
zes", "künstlicher Leidenschaften" und die
"Sucht, sein Glück auf Kosten anderer" zu
machen, schreibt Rousseau:
"...alle diese Übel sind die erste Wirkung des Eigentums
und das untrennbare Gefolge der entstehenden
Ungleichheit."
6
Durch die private Aneignung von Gütern entstehen
gegensätzliche Interessen, dadurch
erst wird das Problem der freien Vergesellschaftung
virulent, denn das Privateigentum
wird vom bloßen Mittel und Produkt der Arbeit zum
Herrschaftsinstrument. Der
ursprüngliche Naturzustand, in dem der Mensch in seiner
Selbstliebe lebt, wird durch
Arbeitsteilung und Warentausch durchbrochen, da der
Mensch nicht mehr von natürli-
chen Dingen, sondern von anderen Menschen abhängig wird.
Allerdings kann der Mensch seine ihn von den Tieren
unterscheidenden Fähigkeiten
7
nur in seinem gegenseitigen Verkehr entwickeln und
zeigen. Aus diesem Grunde kann
es ein 'zurück zur Natur' nicht geben, und eine
Vergesellschaftung wird notwendig.
C. Die Konzeption des Contrat Social
Privateigentum stellt sich als Hauptursache für die
Klassenspaltung dar. Durch die Ak-
kumulierung privater Güter entstehender Antagonismus und
Zwiespalt zwischen indi-
viduellem Wohl und Gemeinwohl muß nun so gezügelt werden,
daß daraus Gemein-
wohl im Interesse aller Individuen resultiert. In diesem
Zusammenhang weist
Rousseau den
contrat, den die riches vorschlagen, zurück:
"Fassen wir in vier Sätzen den Gesellschaftsvertrag
der beiden Stände zusammen: Sie
haben mich nötig, denn ich bin reich und Sie sind arm.
Machen wir untereinander
einen Vertrag: Ich erlaube, daß Sie die Ehre haben, mich
zu bedienen, unter der Be-
dingung, daß Sie mir das wenige geben, das Ihnen bleibt,
und dafür die Mühe, die ich
habe, Ihnen zu befehlen..."
8
4
D2: S.203
5
Eichenseer, Georg: Privateigentum und Freiheitsproblem,
Inauguraldissertation, 1986, S.44
6
D2: S.209
7
Rousseau führt
den Begriff der 'perfectibilité' ein. Er bezeichnet jene Fähigkeit, die den
Menschen zu einem soziablen, sprechenden, vernünftigen
Wesen werden läßt; vgl. hierzu: D2:
S.103f, FN 128
8
Pol. Ök.: S.50f
3
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Bei seiner Konzeption des Contrat Social stellt sich das
Grundproblem, daß eine Gesell-
schaftsform gefunden werden muß, die mit der gemeinsamen
Kraft aller Mitglieder die
Person und die Habe eines jeden einzelnen Mitglieds
verteidigt und beschützt, und in
der jeder einzelne, mit allen verbündet, nur sich selbst
gehorcht und so frei bleibt wie
zuvor.
9
Dies ist eine andere Kozeption, als sie z.B. Locke
anstrebt, der eine Regulierung der Be-
ziehung zwischen Privateigentum und der staatlichen
Garantiegewalt im Sinne der Ge-
währleistung eines body politic für eine vernünftige und
wirklich freiheitliche Form der
Vergesellschaftung hält. Rousseau
betrachtet dies nur als modifizierte Form des con-
trat der riches und als Ausdruck von Unfreiheit. Es gilt
vielmehr, einen Machtan-
spruch, der aus den Eigentumsverhältnissen resultiert, zu
verhindern. Dabei ist zu be-
rücksichtigen, daß Freiheit im gesellschaftlichen Zustand
ganz andere Vorrausetzungen
hat als im Naturzustand. Es geht um Denaturierung von
falscher Gesellschaftlichkeit:
Um im gesellschaftlichen Zustand den Bestimmungen der
Freiheit im Sinne von
persönlicher Autonomie und Autarkie zu genügen, muß eine
falsche Bedürfnisstruktur
und der fatale Egoismus der amour
propre durch die tugendhafte amour de soi
ersetzt
werden.
Dieser Freiheitsbegriff umfasst 3 Dimensionen:
10
1. Die Qualität des Menschseins bindet sich unabdingbar
an seine Freiheit
11
und ihre
individuelle und kollektive Unveräußerlichkeit
12
. Sowohl individuelle als auch
kollektive Unfreiheit ist in jedem Falle rechtswidrig.
Dies betrifft ausnahmslos alle
Individuen und Völker zu jeder Zeit und unter allen
Umständen:
"Auf seine Freiheit verzichten heißt auf seine
Eigenschaft als Mensch, auf seine
Menschenrechte, sogar auf seine Pflichten verzichten. Wer
auf alles verzichtet,
für den ist keine Entschädigung möglich. Ein solcher
Verzicht ist unvereinbar
mit der Natur des Menschen; seinem Willen jegliche
Freiheit nehmen heißt sei-
nen Handlungen jegliche Sittlichkeit nehmen."
13
Deswegen auch "(kann) die Macht ... wohl übertragen
werden, nicht aber der
Wille."
14
2. Entgegen der Tradition bürgerlicher Freiheitsbegriffe
hat der Rousseausche Frei-
heitsbegriff seinen Ausgangspunkt nicht unbesehen bei der
abstrakten Freiheit des
bürgerlichen Subjekts innerhalb der Warenzirkulation,
sondern beim suffrire à soi
même. Selbstbestimmung und Selbstbegrenzung des freien
Willens im Rahmen
eines Rechtstaates sind das wesentliche Moment.
9
vgl. CS: I 6, S.17
10
vgl. die drei Dimensionen: Eichenseer: (1986), S.56f
11
CS I 2
12
CS II 1
13
CS I 4: S.11; hierin liegt der eigentliche Kerngedanke
Rousseaus: Das Wesen des Menschen
liegt in seiner Freiheit. Zugleich ergibt sich daraus das
Grundproblem: wie können
Freiheitswesen zusammenleben, wenn Zusammenleben konkret
immer Beschränkung der
Freiheit bedeutet?
14
Cs II 1, S.27; die Übertragung des Willens wäre eine
Übertragung der Freiheit und dies das
Ende der Souveränität: vgl CS I 4 bezüglich des
Einzelnen: Auf seine Freiheit verzichten heißt
auf seine Eigenschaft als Mensch ... verzichten. Dies
gilt auch für die "moralische Person" des
Staats.
4
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Recht hat hier selbst die Bedeutung der Freiheit und ist
ihr Ausdruck und
verlängerter Arm. Recht, Politik und Sittlichkeit bilden
als wirklich inhaltliche
Synthese die Gewähr für materielle Freiheit überhaupt.
3. Diese Synthese kann nur dann denkbar sein, wenn die
Homogenität der Interessen
und der Tätigkeiten aller Individuen durch strukturelle
ökonomisch-politische Be-
dingungen gegeben und abgesichert ist.
Neben den politischen und rechtlichen erweisen sich
deswegen die ökono-
mischen Bedingungen als wichtige, ja überhaupt als die
entscheidenden Voraus-
setzungen. Denn nur die auf Dauer gestellte ökonomische
Gleichheit und Autar-
kie des Assoziierten verhindert materielle Ungleichheit.
Ein Staat, der nicht Aut-
arkie schaffen kann, sondern Tausch- und
Konkurrenzbedingungen zuläßt und es
damit nur bei der Koordination der antagonistischen
Interessen beläßt, kann
keine wirkliche Einheit stiften und seine bloß formale
Rechtsgleichheit sichert
die materielle Ungleichheit. Eine materielle Freiheit
aber müßte gerade die Lücke
zwischen formalem Recht und materieller Gerechtigkeit
schließen.
15
III.
Eigentum und Recht im Contrat Social
"Trotz seiner vehementen Kritik an den Auswüchsen
des entfesselten Privateigentums
seiner Epoche hat Rousseaus Freiheitstheorie, wie die der
ganzen Vernunftstradition,
ihren Ausgangs- und Endpunkt beim bürgerlichen
Privateigentum."
16
Das Privateigen-
tum offenbart sich also als die Basis der Rousseauschen
Freiheitskonzeption. Im
Extremfall ist das Privateigentum also höher zu stellen
als die Freiheit
17
.
Hier deutet sich die entscheidende Einbruchstelle im
Rousseauschen Freiheitsbegriff
an, und "...daß der Genfer im Endeffekt über das
abstrakte Recht von Hobbes und Lo-
cke nicht hinauskommt, sondern nur eine ihrer Spielarten
liefert."
18
Seinen Grund mag das darin haben, daß das Eigentumsrecht
als "das heiligste von
allen Bürgerrechten, (das) in gewissen Beziehungen noch
wichtiger als die Freiheit
selbst (ist) ..., weil das Eigentum die wahre Begründung
der menschlichen Gesellschaft
und der wahre Garant der Verpflichtung der Bürger
ist."
19
Der Grund liegt also darin, daß Rousseau
das Menschsein ansich an das Privateigen-
tum knüpft. Andere Formen der Vergesellschaftung werden
ausgeschlossen. Daraus er-
gibt sich ein Zwiespalt:
Die Menschen hatten vor Vertragsschluß die Möglichkeit,
unterschiedlich viel Eigen-
tum anzuhäufen. Aus Eigentumsunterschieden resultiert
aber Unfreiheit.
Wie soll nun der Vertrag geschlossen werden, ohne den
Menschen Eigentum, an das
sich das Menschsein knüpft, wegzunehmen?
20
15
vgl. Eichenseer: (1986), S.57
16
Eichenseer: (1986), S.57
17
Es bleibt zu bedenken, ob dieser Extremfall nicht zum
Normalfall werden könnte.
18
Eichenseer:
(1986), S.58
19
Pol. Ök.: S.38
5
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Rousseau löst
das, indem der individuelle Besitz zum Eigentum in Staatshand und dem
individuellen Eigentum übergeordnet wird. Eigentümer wird
der Souverän, also alle ci-
toyens auf der öffentlichen Ebene. Besitzer bleiben die
Bürger auf der Ebene privée.
21
Der Unterschied zwischen Rousseau
und Locke ist, daß bei Locke das wesentliche
Charakteristikum des Privateigentums ist, daß alle
anderen vom Gebrauch meines
Eigentums ausgeschlossen werden.
Bei Rousseau schließt
der Rechtsakt, der den Menschen zum Eigentümer eines Gutes
macht, ihn von allen anderen aus. Ein Anspruch auf die
Gemeinschaft entfällt dann:
"Gemeinsam stellen wir alle, jeder von uns seine
Person und seine ganze Kraft unter
die oberste Richtschnur des Gemeinwillens; und wir
nehmen, als Körper, jedes Glied
als untrennbaren Teil des Ganzen auf."
22
"Diese Bestimmungen lassen sich bei richtigem
Verständnis sämtlich auf eine einzige
zurückführen, nämlich die völlige Entäußerung jedes
Mitglieds mit allen seinen Rech-
ten an das Gemeinwesen als Ganzes. Denn erstens ist die
Ausgangslage, da jeder sich
voll und ganz gibt, für alle die gleiche, und da sie für
alle gleich ist, hat keiner ein Inter-
esse daran, sie für den anderen beschwerlich zu machen.
Darüber hinaus ist die
Vereinigung, da die Entäußerung ohne Vorbehalt geschah,
so vollkommen, wie sie nur
sein kann, und kein Mitglied hat mehr etwas zu
fordern..."
23
Mit der vorbehaltlosen Entäußerung des Eigentums
gegenüber dem Staat wird der
Staat Herr all ihrer Güter. Die Individuen erhalten dann
vom Souverän alles, was sie
vorher abgegeben haben, als ihr gesichertes Eigentum
zurück. Durch den Akt der
Rückgabe werden die Bürger zwar Verwalter des
Kollektiveigentums, bleiben aber Herr
über sich, da sich der Staat als Verkörperung der freien
individuellen Betätigung
erweist.
Ein anderer Aspekt ist, daß durch die Rückgabe erst das
Recht am Eigentum geschaf-
fen wird. Denn vor der Vergesellschaftung im Naturzustand
gilt: der Boden gehört
keinem, die Früchte allen.
24
Erst durch das Recht am Eigentum aber, wird wirkliches
Eigentum geschaffen.
25
Erst mit dem Contrat Social wandelt sich der prekäre
Besitz des
Naturzustandes in einen titre positif und in einen
kollektiv garantierten individuellen
Anspruch auf gleiches Eigentum.
20
Eine Eigentumsenteignung kommt für Rousseau
ohnehin nicht in Frage, da ja alle Menschen
gleich behandelt werden müssen. Wenn man also dem einen
Eigentum wegnimmt, muß man
allen anderen genausoviel wegnehmen. Das ist erstens
nicht immer möglich (wie soll man
einem Eigentumslosen etwas wegnehmen?) und zum Zweiten
blieben die
Eigentumsunterschiede ja die selben.
21
vgl CS I 9, S.23f
22
CS I 6, S.18
23
CS I 6, S.17; der Ausdruck 'völlige Entäußerung' deutet
an, daß durch den Übergang zum
gesellschaftlichen = staatlichen Zustand eine Art
Verwandlung des Menschen geschieht: sein
Wesen ändert sich. (vgl. CS I
8)
24
vgl. D2: S.165: "...ihr seid verloren, wenn ihr
vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die
Erde niemandem..."
25
Durch die vorbehaltlose Entäußerung werden also die
Rechtsansprüche nicht aufgegeben,
sondern sie werden damit gerade aufgehoben und bewahrt im
Sinne der Erhaltung und
positiven Weiterentwicklung der Charakteristika der
vorgesellschaftlichen Existenz des
Menschen. Es kann aber nur dann ein dauerhafter
Rechtszustand möglich sein, wenn die
Individuen in diesem Zusammenhang nur solche Verträge
eingehen, die strikt ihre
rechtspersönliche Unabhängigkeit gewährleisten und ihre
Interessen in gleicher Weise nützen.
Dabei müssen sie alle und in gleicher Weise Eigentümer
sein, denn wenn einige nicht
Eigentümer wären, hätten sie kein Interesse, wirklich
patriotisch die Freiheit des Ganzen zu
verteidigen. Vgl. CS I 9 und: Eichenseer: (1986), S.64
6
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Freiheit entsteht dadurch, daß der Mensch als sujet
gegenüber allen anderen sujets
autark ist -er hat sein Privateigentum; aber er ist auch
vollkommen abhängig vom Ge-
meinwesen aller Individuen als citoyens, er unterliegt
somit den Verpflichtungen der
Gemeinschaft, dadurch kann er sein Eigentum nicht
mißbrauchen.
Dieser Freiheitsbegriff birgt zwei Bedingungen in sich:
26
1. Die Individuen müssen sich unter ein ökonomisches
System von allgemeinen Zwe-
cken begeben und darin für die Gesamtheit arbeiten, auch
wenn sie für sich arbei-
ten.
2. Die Vertragspartner sind sozialstrukturell gleich, und
es muß dafür Sorge getragen
werden, daß diese Gleichheit langfristig besteht.
Der Staat muß es also schaffen, diese zwei Bedingungen zu
erfüllen und zu erhalten,
sonst ergeben sich Klassenunterschiede, die
Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den
sujets schaffen, und somit Freiheit in Unfreiheit
verwandeln.
Ziel des Souveräns muß es deswegen sein, keine Kluft
zwischen formalem Recht und
materialer Gleichheit entstehen zu lassen. Dies wird im
Contrat Social insofern ge-
währleistet, als dort mit Hilfe der vorbehaltslosen
Übereignung der Rechte ein corps
moral et collectif entsteht, der sich aus allen
Mitgliedern der Gesellschaft zu-
sammensetzt, und zur Staatsperson bzw. zum Souverän wird.
27
Rousseau setzt
also bei der Frage der Konstitution des Staates nicht -wie Locke- die
Assoziierten und die souveräne Gewalt äußerlich
gegenüber, sondern die Individuen
selbst sind nicht nur sujets, sondern in der Gesamtheit
der citoyens auch Souverän. In
diesem Zusammenhang bleibt der Staat auch kollektiver
Ausdruck aller Privateigentü-
mer.
Die Frage nach eventuellen Grenzen des Staates und
Eingriffsmöglichkeiten in die Be-
reiche der Privateigentümer als Problem der
Freiheitsbeschränkung stellt sich nicht, da
der Souverän den Untertanen keine Pflichten auferlegen
kann, die sie nicht selbst ge-
wollt haben. In diesem Zusammenhang erweist sich die
volonté générale
28
- als selbst-
ständiger Wille aller Mitglieder des Staates- als
konkreter und objektiver Ausdruck der
gemeinsamen Interessen aller Privateigentümer. Die
volonté générale ist formaler und
inhaltlicher Ausdruck der Privateigentümer:
29
formal: sie gilt für alle Mitglieder
inhaltlich: sie schützt das Privateigentum aller.
Im Gegensatz dazu zielt die volonté de tous -im Sinne des
contrat der riches- auf die
Einzelinteressen (der Eigentümer) ab, und kann als
Summationsverhältnis betrachtet
werden: "...aber nimm von ebendiesen das Mehr und
das Weniger weg, das sich gegen-
26
vgl. Eichenseer: (1986), S.65
27
vgl. CS I 6, S.18f: "Dieser Akt des
Zusammenschlusses schafft augenblicklich anstelle der
Einzelperson jedes Vertragspartners eine sittliche
Gesamtkörperschaft, die aus ebenso vielen
Gliedern besteht, wie dei Versammlung Stimmen hat, und
die durch ebendiesen Akt ihre
Einheit, ihr gemeinschaftliches Ich, ihr Leben und ihren
Willen erhält. Diese öffentliche
Person, die so aus dem Zusammenschluß aller
zustandekommt..., die von ihren Mitgliedern
Staat genannt wird, wenn sie passiv, Souverän, wenn sie
aktiv ist..."
7
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seitig aufhebt, so bleibt als Summe der Unterschiede der
Gemeinwille."
30
Die vom Sou-
verän gefällten Entscheidungen müssen also gemeinsam
befolgt, aber nicht einstimmig
gefällt werden. Dies gilt wohl auch für die Konstitution
des Staatsvertrages.
31
Denn ob-
wohl alle Individuen aus freien Stücken diesen Vertrag
eingehen, müssen nicht unbe-
dingt alle inhaltlich mit ihm übereinstimmen. Der
Staatsvertrag ist damit mit der vo-
lonté
générale identisch.
32
28
Als zentralen Begriff der Rousseauschen Politik muß man,
da der Contrat Social auf ihr
aufgebaut ist, die 'volonté générale' betrachten (vgl:
Fetscher, Iring: Rousseaus politische
Philosophie. Zur Geschichte des demokratischen
Freiheitsbegriffs, Frankfurt/Main (stw 143),
1993, S.118). Bertrand de Jouvenel folgend, kann die
'volonté générale' durch ihre logische,
naturrechtliche und theologische Bedeutung gekennzeichnet
werden (vgl: Jouvenel, Bertrand
de: Du
Contrat social de J.J. Rousseau,
précédé d'un Essai sur la politique de Rousseau,
Genève, 1947, S.105-112; vgl. hierzu auch: Fetscher
(1993), S.119ff). Im logischen Sinn
bezeichnet die 'volonté générale' einen Willen, der sich
auf das Ziel im Gegensatz zur 'volonté
particulière', die sich auf die Mittel bezieht. Dieses
Ziel muß -logischerweise- das 'Gemeinwohl'
sein, denn der Gemeinwille kann sich, als allgemeiner
Wille, nur auf Allgemeines beziehen,
bezöge er sich auf Einzelnes, widerspräche er seinem
eigenen Begriff und wäre somit zerstört
(CS II.4 und IV.1). Um die naturrechtliche Bedeutung zu
umreißen, muß die 'volonté générale'
deutlich von der 'volonté de tous' abgegrenzt werden.
Obwohl Rousseau vorschlägt, das Volk
zur Ermittlung des Gemeinwillens zu befragen, darf er
nicht mit dem Willen aller verwechselt
werden. Willensbildung zum Gemeinwillen heißt: nicht
Kumulierung gleicher Eigeninteressen,
sondern gleicher Interessen am 'corps politique', denen
gegenüber die -in der Natur am
stärksten ausgeprägten- Eigeninteressen in der verfaßten
Gesellschaft zurücktreten müssen
(CS III.2, S.68). Eine tragfähige 'volonté générale'
ergibt sich also unter zwei Voraussetzungen:
entweder die Eigeninteressen sind überwiegend so geartet,
daß sich ihre summative Einigung
nicht neutralisiert, sondern gemeinsame Aktionen zur
Sicherung eigener Lebensmöglichkeiten
und Freiheit erlaubt, oder die Eigeninteressen sind
bereits vergemeinschaftet, so daß das
Individuum nur im Leben und Glück für das Ganze lebt und
es als Glück empfindet, daß das
spontane Wollen des einzelnen mit dem Wollen der
Gemeinschaft unmittelbar identisch ist
(vgl: Forschner, Maximilian: Rousseau,
Freiburg/München (Karl Alber Verlag), 1977, S.149):
"Solange sich mehrere Menschen vereint als eine
einzige Körperschaft betrachten, haben sie
nur einen einzigen Willen, der sich auf die gemeinsame
Erhaltung und auf das allgemeine
Wohlergehen bezieht."(CS IV.1, S.112; Interessant
ist es, in diesem Zusammenhang den
Gedanken des Gemeinwillens von Hobbes zu betrachten.
Hobbes Herrschaftsvertrag bedingt,
daß alle Glieder eines zu errichtenden Staates
untereinander vereinbaren, den Willen eines
bestimmten Herrschers zukünftig als ihren je eigenen
Willen anzunehmen. Ein einzelner Wille
(volonté particulière) wird also zum Willen aller
(volonté de tous), aber nicht zu einem echten
Gemeinwillen (volonté générale). Gemeinwille im Rousseau'schen
Sinn ist also für Hobbes nur
juristische Fiktion.) Im theologischen Sinn kann die
'volonté générale' mit dem
gesetzgeberischen Willen Gottes identifiziert werden
(vgl. hierzu: Diderot, Denis: droit naturel
in: Oeuvres
complètes ed. Assézat et Tournoux, Paris, 1875-1879; und:
Vaughan, C.E.: Vorwort
zu Diderots Artikel "droit naturel" in:
ders.: Political Writings of J.J. Rousseau, Bd. 20I,
Cambridge, 1915, S.422ff; und: Fetscher: (1993) S.120f).
Wenn man von der Betrachtung des
Gemeinwillens als Naturgesetz abrückt und ihn statt
dessen als Gottes Wille ansieht, wird er in
allen -von Gott geschaffenen- Wesen erkennbar. Aus diesem
in jedem Wesen schlummernden
Willen resultiert dann eine 'Ordnung', die Rousseau auf den Gesellschaftszustand überträgt
(In letzter Konsequenz ergibt sich daraus ein
Staatswesen, in dem jeder aus sich selbst heraus
leben will. Vgl. hierzu auch: Malebranche, Nicolas: Méditations chrétiennes in:
Oeuvres
complètes, ed. Genoude, Lourdoueix, Paris,
1837).
29
vgl. Eichenseer: (1986), S.69
30
CS II 3, S.31
31
vgl. Eichenseer: (1986), S.70
32
Cs I 7, S.21: "Damit der Gesellschaftsvertrag keine
Leerformel sei, schließt er stillschweigend
jene Übereinkunft ein, die allein die anderen ermächtigt,
daß, wer immer sich weigert, dem
Gemeinwillen zu folgen, von der gesamten Körperschaft
dazu gezwungen wird, was nichts
anderes heißt, als daß man ihn zwingt, frei zu
sein..."
8
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IV.
Fazit
Aus der Konstruktion des Contrat Social ergibt sich ein
Zwiespalt:
auf der einen Seite schützt er das zurückgegebene
Privateigentum (als
Kollektiveigentum) als unaufhebbare Grundlage von Freiheit
und Gleichheit,
auf der anderen Seite erwächst aus dem Privateigentum
(als individuelles Eigen-
tum) die stete Gefahr, Gleichheit und daraus
resultierende Freiheit zu zerstören.
Dieser Zwiespalt resultiert wohl aus der Konstruktion der
volonté générale die zwar der
volonté de tous als einer bloßen Summierung der
Einzelwillen entgegengesetzt wird,
aber vielleicht doch nur das gemeinschaftliche aller
einzelnen Willen zum Ausdruck
bringt.
33
Es bleibt allerdings festzuhalten, daß sich im Begriff
der volonté générale der
Einklang von Sittlichkeit, Politik und Ökonomie spiegeln
soll und Rousseau nicht -wie
Kant- auf ein abstraktes Weltbürgertum, sondern - wie
Hegel - auf Sittlichkeit abzielt.
Es stellt sich aber die Frage, ob der Versuch,
Privateigentum und materiale Freiheit in
Einklang zu bringen nicht scheitern muß:
34
weil die Theorie des Gemeinwillens die Legitimation von
unbeschränkt-privater
Aneignung und von materieller Über- und Unterordnung
nicht ausschließen kann
und letztlich trotz gegenteiliger Absicht die
bürgerlichen Eigentumstheorien von
Hobbes und Locke nicht durchbricht;
weil die Absicht, einerseits das Privateigentum als
legitime Voraussetzung für ein
basisdemokratisches Prinzip zu setzen, andererseits seine
hierzu gegenläufige
Funktionsweise zu negieren eine unauflösliche Aporie in
sich birgt;
weil die Mystifikation des Vertrages, die bürgerliche
Gesellschaft nur als Aggregat
atomistischer Individuen erfassen kann, nicht aber als
eine "höhere Substanziali-
tät"
35
;
weil -auch wenn Rousseau
den freien Willen zum Staatsprinzip erhebt - aufgrund
der Zugrundelegung des 'einsamen Individuums' als
logisch- systematischen Aus-
gangsprinzip der Gesellschaft, die volonté générale nur
ein voluntaristisches
Prinzip darstellt und Rousseau
auch gar nicht plausibel zu zeigen vermag, wie die
Individuen sich derart vergesellschaften können, daß
trotz der ständig gegen das
Allgemeine und gegeneinander rebellierenden Summe der
Partikularwillen die vo-
lonté
générale notwendig resultiert.
33
vgl. hierzu die Kritik Hegels an der Konstruktion der
volonté générale
34
vgl. Eichenseer: (1986), S.84f
35
vgl. hierzu Hegels Kritik
9
Page 10 |
V.
Literatur
Althusser, Louis: Über Jean-Jacques Rousseaus
"Gesellschaftsvertrag", in: ders.:
Machiavelli
- Montesquieu - Rousseau. Zur
politischen Philosophie der Neuzeit
(Louis Althusser, Schriften, Bd.2), Hamburg, 1987
Baruzzi, Arno: Einführung in die politische Philosophie
der Neuzeit, Darmstadt
(wiss. Buchges.), 1983
Cobban, Alfred: Rousseau
and the modern state, London, 1934
Cole, G.D.H.: Rousseaus political theory, in: ders.:
Essays in social theory, London,
1950
Diderot,
Denis: droit naturel in: Oeuvres complètes ed. Assézat et Tournoux, Paris,
1875-1879
Eichenseer, Georg: Privateigentum und Freiheitsproblem,
Inauguraldissertation,
1986
Fetscher, Iring: Rousseaus politische Philosophie. Zur
Geschichte des demokra-
tischen Freiheitsbegriffs, Frankfurt/Main (stw 143), 1993
Forschner, Maximilian: Rousseau,
Freiburg/München (Karl Alber Verlag), 1977
Jouvenel,
Bertrand de: Du Contrat social de J.J. Rousseau, précédé d'un Essai sur
la
politique de Rousseau, Genève, 1947
Malebranche,
Nicolas: Méditations chrétiennes in: Oeuvres complètes, ed.
Genoude, Lourdoueix, Paris, 1837
Masters, R.D.: The Political Philosophy of Rousseau, Princeton, 1968
Nonnenmacher, Günther: Die Ordnung der Gesellschaft.
Mangel und Herrschaft in
der politischen Philosophie der Neuzeit: Hobbes, Locke,
Adam Smith, Rousseau.
Weinheim,
1989
Rousseau, Jean-Jacques:
Abhandlung über die Politische Ökonomie, in: Politische
Schriften 1
Diskurs über die Ungleichheit, kommentiert von Heinrich
Meier, Paderborn/
München/ Wien/ Zürich (UTB), 1993
Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des
Staatsrechts, herausgegeben
von Hans Brockard, Stuttgart (Reclam), 1991
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